„Wenn K. das Schloß ansah, so war ihm manchmal, als beobachtete er jemanden, der ruhig dasitze und vor sich hinsehe, nicht etwa in Gedanken verloren und dadurch gegen alles abgeschlossen, sondern frei und unbekümmert; so als sei er allein und niemand beobachte ihn; und doch mußte er merken, daß er beobachtet wurde, aber es rührte nicht im Geringsten an seine Ruhe und wirklich–man wußte nicht war es Ursache oder Folge-die Blicke des Beobachters konnten sich nicht festhalten und glitten ab. Dieser Eindruck wurde heute noch verstärkt durch das frühe Dunkel, je länger er hinsah, desto weniger erkannte er, desto tiefer sank alles in Dämmerung.“
Franz Kafka, „Das Schloß“, S. 80.
1. Die Unzerstörbarkeit der submedialen Subjektivität
Boris Groys geht in seinem Werk „Unter Verdacht“ davon aus, jeder sichtbaren medialen Oberfläche sei ein submedialer, unsichtbarer Raum inhärent. 1 Der submediale Raum, so Groys, sei wiederum zweierlei. Zum einen Raum des Verdachts, zum anderen Raum der Subjektivität, „denn die Sub-jektivität ist nichts anderes als die reine, paranoide, aber zugleich auch unvermeidliche Unter-stellung, dass sich hinter dem Sichtbaren etwas Unsichtbares verbergen muss.“ 2
Es ist ausgeschlossen die Subjektivität hinter der Oberfläche zu sehen und gleichfalls ist es unmöglich, dass sie sich auf der medialen Oberfläche zeigt. 3 Demnach erzeugt die mediale Oberfläche einen Verdacht: „Die Subjektivität bewohnt den dunklen, prinzipiell unzugänglichen, unerfahrbaren Raum des Verdachts.“ 4
Ausgehend von der Feststellung, dass das Medium immer zweideutig, weil mediale Oberfläche als auch submedialer Raum zugleich sei, wirft Groys die Frage auf, wer denn nun zeigt, wenn es einen Betrachter gibt, der sieht. Seine Antwort lautet: „Es ist die submediale Subjektivität die zeigt. Und keine Dekonstruktion der sehenden Subjektivität kann die zeigende Subjektivität treffen, denn die zeigende Subjektivität ist nicht transparent und evident, sondern dunkel und unergründlich.“ 5
Die Subjektivität des Sehenden ist also immer die Subjektivität des Mediums, die nicht sichtbar ist. Groys wendet hier die Lacansche Figur des Spiegels an um seine These zu untermauern. Lacan nach manifestiert sich nämlich die Subjektivität des Sehenden erst, wenn der sich selbst Betrachtende zur medialen Oberfläche wird. 6
Spielberg verwendet diese Allegorie insofern, wenn er in „Minority Report“ ein Justizsystem entwirft, das dem Verdacht gegenüber der Oberfläche folgt; jedoch, und da liegt der Unterschied verborgen, wendet es den Verdacht ausschließlich auf die Subjektivität des Sehenden, also des Menschen an, die mediale Oberfläche, die Bilder, welche die Precogs erzeugen hingegen, sind dem Verdacht entzogen, geben sie doch aus, dass ihre Oberfläche mit dem submedialen Raum übereinstimmt.
Der Held Anderton stellt den Verdacht gegenüber der medialen Oberfläche letztlich in zweifacher Weise wieder her und bringt damit das von Groys als „Ökonomie des Verdachts“ beschriebene System wieder zum Laufen: Indem er beweist, dass sein Spiegelbild aus der Zukunft seinen Verdacht bestätigt, dass sich hinter der sichtbaren medialen Oberfläche seiner Selbst eine unsichtbare Gegenwart verbirgt (er tötet den Vorausgesagten nicht) und indem er die Bildermanipulation seines Gegenspielers aufdeckt um die Werte der „medialen Aufrichtigkeit“ (auf den Begriff der „Aufrichtigkeit“ wird später noch explizit einzugehen sein) zu bestätigen, die immer erst dann bestätigt werden können, wenn sich der Verdacht dahingehend bewahrheitet, „das der submediale Raum in seinem Inneren ‚eigentlich’ anders aussieht, als er sich auf der medialen Oberfläche zeigt“. 7
Anderton stellt also gewissermaßen die alten Gesetze wieder her indem er seinem Verdacht folgt, hinter dem Sichtbaren verberge sich die unsichtbare Subjektivität des submedialen Raums. Und auch Spielberg selbst spielt mit der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des submedialen Raums, denn auch sein Film setzt sich zusammen aus Bildern, die mediale Oberflächen darstellen. So stellt auch Oliver Hüttmann in seiner Rezension zum Film auf „Spiegel Online“ fest:
„Jedes Detail und jeder Charakter spiegelt sich in einem anderen Aspekt des Films oder in denen anderer Filme. "Minority Report" ist ein monströses Konglomerat aus mäandernden Zitaten, Querverweisen, Rätseln, Referenzen, historischen Quellen und utopistischen Einfällen. Ein Dutzend Zukunftsforscher haben - wie Pre-Cogs-dem Perfektionisten Spielberg die Einzelteile für eine überwältigende Oberflächenschau geliefert. Der verzweigte Inhalt und die düstere Atmosphäre setzen sich hingegen zusammen aus klassischen Topoi des Film noir.“ 8
Fortsetzung folgt
1 Vgl. Boris Groys, Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien, Hanser: München/Wien 2000, S. 29.
2 Ebenda, S. 29.
3 Vgl. Ebd., S. 29.
4 Ebd., S. 29.
5 Ebd., S. 30.
6 Vgl. Ebd., S. 30.
7 Ebd., S. 220.
8 Oliver Hüttmann, „Leblos funkeln die Effekte“, http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,216778,00.html, Stand: 10.05.2009.