Samstag, 20. Juni 2009

2. Der medienontologische Verdacht im Strukturalistischen Film und in der Massenkultur.

„My mommy always said there were no monsters - no real ones - but there are.“
aus "Aliens" (1986)


Gemäß der Definition, dass es sich bei einer Repräsentation immer um „die Darstellung von etwas durch etwas anderes“ handelt, muss im Hinblick auf das Bild immer von einer Repräsentation gesprochen werden. 1 Peter Gidal schreibt in seinem Werk „Theory and Definition of Structural/Materialst-Film“, das Medium Film operiere immer innerhalb eines bestimmten Modells, indem es eine Beziehung zwischen zwei Segmenten herstelle: Der vorfilmischen Realität, auf welche die Kamera zielt und der Art und Weise, wie jene als Bild präsentiert wird. 2

In Anbetracht dieser Feststellung besitzt das Bild als Zeichen, ob als Einzelnes (Fotografie) oder als lineare Abfolge (Film) immer schon per se einen repräsentierenden Charakter. Das in der Realität dreidimensional Gegebene wird transformiert zu einer zweidimensionalen Fläche. Das ist ein Umstand, auf den die strukturalistischen Filmemacher wie Michael Snow, Hollis Frampton oder Peter Gidal immer wieder hingewiesen haben:

„You have all these spatial illusions, tactile illusions even, whereas there is a cultural reflex somewhere to believe that when you’re looking at something, it’s real. Let’s say. Even if that is the impression you’re assembling only from the barest of abstract kind of thing... and at the same time the thing is undeniably flat, it doesn’t have impasto, it has nothing, it is perfectly superficial.“ 3

Handelt sich bei einem Wort um einen erkennbaren Signifikanten, so verleitet das Bild den Betrachter dazu, es nicht länger als Zeichen wahr zu nehmen. Der „cultural reflex“, von dem Frampton spricht, bewirkt, dass der Betrachter eines Bildes vergisst, das er auf ein Bild schaut; dadurch, dass das abgebildete Objekt seiner äußeren Erscheinung nach mit dem realen Objekt überein zu stimmen scheint, glaubt der Betrachter nicht mehr länger einen Signifikanten vor sich zu haben.

Die strukturalistischen Filmemacher wollten dem entgegen wirken, in dem sie das Bild so präsentierten, dass dem Zuschauer die Möglichkeit gegeben wird, es als etwas Reproduziertes zu erkennen. Ihr Bestreben war es, den Betrachter nicht länger in seinen konnotativen sondern in seinen perzeptuellen Prozessen zu begreifen, d.h. die Veränderung der Formen innerhalb der vom Medium Film vorgegebenen materiellen Struktur so in den Vordergrund zu rücken, dass der an konnotativen Prozessen gebundene Inhalt irrelevant wird.

Jedes Abrücken von der Eindeutigkeit der Formen hat, laut Gidal, einen zweideutigen Identifikationsprozess und damit die Positionierung des Subjekts in einer ideologisch geprägten Gesellschaftsstruktur zur Folge, welche vom illusionistischen Film reproduziert wird. 4

Die Beschränkung des strukturalistischen Films auf die evidente Form hatte das Ziel, den Betrachter von einem Blick zu befreien, der ihn zum Untertan soziokulturell geprägter Konnotationen macht. Zugleich speiste sich die Motivation ihrer Anhänger ebenfalls aus einem unbestätigten Verdacht: nämlich dem, dass es ein Subjekt gibt, dass die Unsichtbarkeit des „ideological class war“ und des „state apparatus“ herstellt.

Da aber ein kapitalistisches Gesellschaftssystem nicht als Bild vorliegen kann (so wie ein System schon per se kein Bild herstellt); weil es nach einer Sichtbarkeit verlangt, wo ein System nur unsichtbar sein kann, meint es Gidal in der Oberflächenschau des dominanten Erzählkinos auszumachen:

„The Commercial cinema could not do without the mechanism of identification. It is the cinema of consumption, in which the viewer is of necessity not a producer, of ideas, of knowledge. Capitalist Consumption reifies not only the structures of the economic base but also the constructs of abstraction. Concepts, then, do not produce concepts; they become instead, enconced as static ‚ideas’ which function to maintain the ideological class war and its invisibility, the state apparatus in all its fields.“ 5

Dabei ist es für Boris Groys gerade das kommerzielle Erzählkino aus Hollywood, das die Existenz des verschwörerischen Subjekts hinter der medialen Oberfläche immer wieder bestätigt:

„Vor allem in den Hollywood-Filmen offenbaren künstlich produzierte Zeichenträger wie alte ägyptische Mumien, Statuen, Computer, Roboter, Fernsehgeräte, Häuser, Autos und sogar Kühlschränke immer wieder eine in ihrem Inneren verborgene, gefährliche Subjektivität – eine aggressive und maliziöse Intelligenz, die sich nicht mitteilen, sondern manipulativ und destruktiv agieren will.“ 6

Für Groys stellt etwa die Figur des Alien (er bezieht sich hier explizit auf die Filme von Ridley Scott und James Cameron) ein Zeichen der medialen Aufrichtigkeit dar; das bedrohliche Alien, das hinter der „medialen Oberfläche des Himmel verborgen bleibt“, ist für ihn „das perfekte Bild des medienontologischen Verdachts“, weil es keinerlei sinnvermittelnde Kommunikation zulässt und mittels „zielgerichteter Aktion [...] das Schicksal sowohl der Zeichen als auch ihrer Betrachter bestimmt.“ 7 Diese üblicherweise hinter der medialen Oberfläche verborgenen „Subjekte der zielgerichteten Aktion“ verlieren ihre Zeichenhaftigkeit dadurch, dass sie ihr destruktives Bestreben gar nicht erst hinter einer Zeichenschicht verbergen.

Die von Groys, vornehmlich dem Science-Fiction-Genre zu zuordnenden Beispiele aus der Massenkultur reproduzieren nicht eine Gesellschaftsstruktur, aus der die Bilder hervorgehen, als wären sie vom gleichen unsichtbaren Subjekt erzeugt worden, das auch die bestehenden Gesellschaftsstrukturen erzeugt. Im Gegenteil: Sie reproduzieren und bestätigen viel eher den Verdacht des Betrachters gegenüber der medialen Oberfläche. 8

In den Filmen von James Cameron, Ridley Scott oder Paul Verhoeven offenbart sich, so Groys, die Medienwirklichkeit: „Sie sind die Fenster, durch die wir ins Innere des submedialen Raums der modernen Medien blicken können – um dort die uns drohende, unerbittliche Gefahr zu entdecken.“ 9 Aus ihren Filmen treten die Bilder also als Bilder hervor, denen der Verdacht um ein bedrohliches Subjekt hinter ihrer medialen Oberfläche inhärent ist.

1 Vgl. Helmut Schanze, Metzler Lexikon Medientheorie – Medienwissenschaft: Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Hg. Susanne Pütz, J. B. Metzler: Stuttgart 2002, S. 312.
2 Vgl. Peter Gidal, Structural Film Anthology, London: BFI 1978, S. 1.
3 Hollis Frampton/Peter Gidal, Structural Film Anthology, S. 64.
4 Vgl. Peter Gidal, Structural Film Anthology, S. 7 ff.
5 Ebenda, S. 10.
6 Groys, Unter Verdacht, S. 74.
7 Vgl. Ebenda, S. 75.
8 Vgl. Ebd., S. 75. Obgleich Groys einberaumt, dass das Erscheinen des Subjekts hinter der medialen Oberfläche immer auch einen erlösenden und beruhigenden Effekt habe, indem es den immer schon gehegten Verdacht des Betrachters bestätige: „Eigentlich freut man sich als Zuschauer, wenn in den Filmen von Scott oder Cameron der Alien endlich ins Bild springt oder die Welt unterzugehen droht“ (Boris Groys, Unter Verdacht, S. 76).
9 Ebd., S. 76.

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