Samstag, 6. Juni 2009

Zensur – die böse Stieftochter der Überwachung

Wenn man das weite Land der Überwachung in zwei Gebiete einteilen würde, nämlich in das fruchtbare Land friedensdienlicher Überwachungsvorkehrungen und in das dunkle Tal des totalitären Regimes, so wäre die bildhafte Grenzmauer zwischen den beiden wohl vor allem aus einem Wort errichtet: Zensur. Wo Zensur anfängt, hört Meinungsfreiheit auf. Dient dies noch zum Wohle des Volkes oder ist es schlicht und einfach ein Verbrechen?

In Philip K. Dicks späten, autobiographisch angehauchten Roman Radio Free Albemuth, welcher vor dem Hintergrund eines totalitären Amerikas spielt, dreht sich vieles um Musik, Radio und Satelliten, sprich: Geräuschübertragung. Nicolas Brady, Mitarbeiter einer Plattenfirma, wird von der Regierung beauftragt, Namen von Musikern weiterzugeben, welche pro-kommunistische Liedtexte in ihren Songs verwenden. (Dick 2008: 77f) Die Regierung nützt hier also das Mittel der Zensur, um nicht konforme politische Inhalte aus der Musik zu verbannen. Der gute Wille einer friedensdienlichen Überwachung ist hier freilich längst nicht mehr gegeben, der Staat kümmert sich nicht mehr um das Wohlergehen des Volkes, er formt das Volk. Kritische politische Äußerungen werden im wahrsten Sinne des Wortes eliminiert. Die Polizei geht in Radio Free Albemuth sogar so weit, dass sie die Bürger gegeneinander ausspielt: „The well-known police tactic of whiplashing would come into play; they would soon be saying to me, (...) You had better get your friend before he gets you.“ (Dick 2008: 83)

Zwei Sci-Fi-Filme ersinnen sich mir an dieser Stelle, in denen Zensur noch groß geschrieben wird: François Truffauts Fahrenheit 451, nach dem gleichnamigen, weltberühmten Roman von Ray Bradbury, und die moderne Zukunftsvision Equilibrium. In Fahrenheit 451 sind es die Bücher, die verboten und verbrannt werden müssen. Eine Welt ohne Literatur, und dies schlicht und einfach aus dem Grund, dass Bücher uns schlecht fühlen lassen. (Truffaut 2003) Bei Equilibrium (welcher auf der Suche nach Inspirationshappen ganz augenscheinlich bei zuvor genannten Film genascht hat) wird dieser Gedanke noch weiter gesponnen: jegliche Form von Kunst, also alles, was im Menschen irgendeine Form von Gefühl auslöst, wurde vom Staat verboten. (Wimmer 2005)

Hinter beiden Filmen steckt somit der Gedanke einer harmonischen und glücklichen Gesellschaft. Jedoch entsteht dieser Eindruck nur auf der Oberfläche, wer tiefer gräbt, erkennt das Paradox der Gefühllosigkeit: Wer nie unglücklich war, kann niemals glücklich sein. Wer sich nie schlecht gefühlt hat, wird auch niemals Freude empfinden. Keine Liebe ohne Schmerz. Kein Glück ohne Trauer. Denn das ist es, was das Leben im Gleichgewicht hält. Der Mensch muss um die Brutalität und Hässlichkeit des Lebens Bescheid wissen, um ein Bild wahrer Schönheit und Harmonie erst richtig schätzen zu können. Sicher, Bücher lassen uns schlecht fühlen. Genauso wie sie uns wütend, erheitert, verwirrt, nachdenklich, verliebt und euphorisch fühlen lassen. Und was ist der Mensch, der nicht liebt, anderes als ein Witz ohne Pointe?

Unnötig zu erwähnen, dass selbstverständlich jeder, der sich in Fahrenheit 451 und Equilibrium nicht an das Gesetz der Zensur hält, gnadenlos verfolgt wird. Eine stille Vernichtung all derer, die nicht in das System passen. Kommt einem irgendwie bekannt vor.


Zurück ins Jahr 2009. Erquicken wir uns abseits der Fiktion an den Schrecken der Gegenwart. Das Wesen der Zensur erfreut sich auch in der realen Welt großer Beliebtheit. Beispiel: das Internet. Unendliche Weiten. Sollte man zumindest meinen. Doch in einigen Ländern sieht dieses Bild ganz anders aus, Regierungen kontrollieren, was die Bevölkerung online sehen kann und was nicht – der Begriff der Internetzensur macht sich breit. Auf der erstaunlich informativen Aufklärungs-Website www.good.is findet sich ein Video mit dem Titel Internet Censorship, welches sich mit diesem Thema beschäftigt und einige interessante Fakten aufzeigt. Hier ein paar Auszüge: Regierungen von Frankreich, Deutschland und vielen anderen Ländern zensieren Inhalte und blockieren Suchanfragen mit Hilfe von Filtern. Unterstützt werden diese Internetfilter von internationalen Unternehmen wie Microsoft oder Google. Microsofts Blog-Service in China lehnt das Wort „Democracy“ als Titel eines Blogs ab. Im Jahr 2005 wurde der Journalist Shi Tao zu zehn Jahren Haft verurteilt, da der Yahoo-Email-Service Informationen an chinesische Behörden weitergeleitet hat. Yemen, Iran und China blockieren Wörter wie „Sex“, „Naked“ und „Falun Gong“. In Cuba ist jeglicher privater Internetzugang gesperrt, die Konsequenz einer Privatverbindung bedeutet fünf Jahre Haft. (Die Quelle, auf die ich mich hier beziehe, ist unter folgenden Link zu erreichen: http://www.good.is/post/internet-censorship)

Diese Tatsachen bringen mich wieder zurück zu meiner Eingangsfrage: kann dies zum Wohle des Volkes dienen? Muss die Regierung uns mit solchen Maßnahmen vor uns selbst bewahren? Ich persönlich bezweifle es stark. Ein Handeln zum Wohle des Staates sollte nicht die Unterdrückung des Volkes nach sich ziehen. Im Falle der Überwachung heiligt der Zweck die Mittel nicht.

Nein, ich denke, der Gedanke hinter dieser Art des Freiheitsentzuges ist ein ganz anderer. Herhalten muss hier ein Spruch, der älter als die Zeit und so abgedroschen wie ein Blondinenwitz ist, aber immer noch Gültigkeit hat: Wissen ist Macht. Man muss keine Statistiken auswendig lernen, um zu der Annahme zu kommen, das Internet sei heute eine der führenden Bezugsquellen, um sich zu informieren und Wissen anzueignen. Wird dem Volk die Freiheit beraubt, sich Wissen anzueignen, wird ihm auch die Macht entzogen. Schlussfolgerung: Ein Volk, das wenig weiß, ist auch leichter zu lenken. Gewiss, diese Feststellung mag wenig neu erscheinen. Umso erschreckender erweist es sich für mich, dass viele Regierungen auch heute noch nach diesem Grundsatz denken und handeln.


Ich will an dieser Stelle noch einmal auf die Rolle des Internets eingehen und seine Wichtigkeit als Massenmedium unterstreichen. Massenmedien funktionieren natürlich nur, wenn sie die Masse auch erreichen. Das Internet ist das Sinnbild unserer Generation, die Art und Weise, wie wir es benützen, es begreifen, wie uns Zugänge gewährt oder blockiert werden, all das schlägt sich in uns selbst und in unserer Weltsicht nieder. Ich halte es hier gleich mit Roger Silverstone, in dessen Sinne wir uns des wahren Stellenwertes der Medien bewusst werden müssen:


„Ich behaupte, daß wir die Medien erforschen müssen, weil sie von essentieller Bedeutung für unseren Alltag sind. Wir müssen uns mit ihnen beschäftigen, weil sie in sozialer und kultureller, in politischer und ökonomischer Hinsicht eine zentrale Rolle in der modernen Welt spielen, weil sie allgegenwärtig und komplex sind, und weil sie darüber entscheiden, in welchem Ausmaß es uns gelingt, unsere Welt zu begreifen, Bedeutungen herzustellen und diese mitzuteilen.“ (Silverstone 2007: 11)

Die Medien zeigen uns Bilder einer Welt, unserer Welt. Wie diese nun aussieht, sei dahingestellt. Wirklich wichtig ist, dass wir die Bilder in allen Farben betrachten können. Bunt und unzensiert.

Es mag noch kein Rezept gegen die Krankheit der Zensur geben, doch allein die Auseinandersetzung mit der Problematik und der Widerstand von einigen wenigen bringen etwas Optimismus. In Radio Free Albemuth sind es am Ende die Kinder, auf die Philip K. Dick alle Hoffnungen stützt (Dick 2008: 286) Können sie das totalitäre Regime stürzen und für die Wende sorgen? Wir wissen es nicht. Und Mr. Dick wird uns leider auch keine Antwort mehr darauf geben. Direkt schade eigentlich, dass kein billiges Autorenteam unter Philip K. Dicks Namen sein Werk weiterführt, wie es im Roman der Fall ist. Aber warten wir einmal ab, wer weiß, was Hollywood noch so alles einfällt.


Nun, Überwachung hat sowohl in Fiktion, als auch in der Realität seine Schattenseiten und das Mittel der Zensur verdeutlicht diese besonders. Doch wo Kontrolle herrscht, da existiert auch Widerstand. Staatliche Zensur sorgt vielleicht dafür, das Volk leise zu halten, doch keine Überwachung der Welt vermag es, den Widerstandsgedanken zum Schweigen zu bringen. Denn menschliche Gedanken sind vor allem eines: frei. Und unzensierbar.



Quellen:


Dick, P. K. (2008). Radio Free Albemuth. London: HarperCollins.

Silverstone, R. (2007). Anatomie der Massenmedien. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Truffaut, F. (Regie). (2003). Fahrenheit 451 [DVD-Video]. Universal. (Orig. Fahrenheit 451. USA 1966).

Wimmer, K. (Regie). (2005). Equilibrium [DVD-Video]. Highlight DVD. (Orig. Equilibrium. USA 2002).

http://www.good.is/post/internet-censorship


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