Sonntag, 28. Juni 2009

Überwachung 2.0

Werfen wir noch einmal einen Blick in die Vergangenheit: in einer längst vergangenen Zeit, einer Zeit, die den meisten nur noch verschwommen und wage in Erinnerung schwebt, einer Zeit, in der das Wort Reality-TV noch nicht erfunden war – ganz recht, ich spreche natürlich von den Neunzigern. Genauer gesagt schreiben wir das Jahr 1998, als ein visionärer Film in die Kinos kommt, der Kritik und Publikum begeistert und auch heute noch aktuell wie nie erscheint: The Truman Show von Peter Weir. Ein Film über einen Mann, der unwissentlich der Star einer Fernsehshow ist, welche ihn ununterbrochen filmt (Weir 2003). Es geht also um die permanente Überwachung eines Einzelnen, der in einer gestellten, nur für ihn erschaffenen Welt lebt, in der nichts echt ist.

Aber Moment. War da nicht noch etwas? Bereits im Jahr 1959 veröffentlicht ein damals noch recht junger Science-Fiction-Autor, dessen Name in diesem Blog bereits einige Male Erwähnung fand, ein Buch mit dem Titel Time Out of Joint. Eines von Philip K. Dicks Frühwerken ist zugleich einer seiner Klassiker, und nicht wenige behaupten, dass dieses Buch Vorlage und Inspirationsquelle für Filme wie Matrix oder eben The Truman Show darstellt. Die Autoren Richard Behrens und Allen B. Ruch gehen auf der Website www.themodernword.com, wo sie eine Abhandlung über Dicks Leben veröffentlichten, sogar noch einen Schritt weiter: „But perhaps the most Dickian of all is Peter Weir’s The Truman Show, in which Jim Carrey stars as Truman, a man who gradually discovers that his entire world is a massive set, filled with actors, scheduled events, and fake weather. The fact that Dick’s Time Out of Joint was not mentioned in the film’s credits seems to border on plagiarism, no matter how well-made and entertaining the movie!” (Behrens & Ruch 2003)

In Time Out of Joint geht es kurz gesagt um einen Mann, der herausfindet, dass er Teil eines militärischen Experiments ist und die Stadt, in der er lebt, eine einzige Halluzination. Mit diesem Buch läutet Mr. Dick zwar einen ernsteren Stil in seinem Werk ein und verleiht seinem Schreiben eine neue Tiefe, die strengen Fesseln des trivialen Science-Fiction-Genres kann er aber nicht abwerfen, wie Behrens und Ruch feststellen: „While the subject of the book (...) is nominally science fiction, his vivid portrayal of a Southern Californian community and his superbly drawn characters point to a deeper literary accomplishment. Though the book was initially publicized as “a novel of menace,” it was soon reprinted as an Ace paperback with a garish sci-fi cover sporting astronauts and hurtling moon rocks. Alas, the author had fallen back into the gravitational orbit of his native genre.”

Ich persönlich denke, dass es Philip K. Dick Zeit seines Lebens so ergangen ist und ihm durch die Genre-Reduzierung höhere Anerkennung verwehrt blieb, weshalb auch Hollywood seine Werke in oftmals beschämender, oberflächiger Form auf Zelluloid gebannt hat. Nur wenige Filmemacher haben die wahre Tiefe hinter Dicks Texten erkannt und zum Ausdruck gebracht – Ridley Scott ist wohl der prominenteste.


Doch bleiben wir bei dem Faktor der Überwachung. In Weirs Film etwa geht es um eine Kontrolle, die das Herz aller Verschwörungsfanatiker höher schlagen lässt: hier erfüllt sich nämlich das Prinzip der Paranoia, es stecken wirklich alle dahinter, man kann niemandem trauen. Was dieses fiktionale Werk nun so interessant macht und sie von anderen Überwachungsutopien (oder auch Überwachungen im realen Leben) abhebt, ist der Fakt, dass hier nur ein einziges Individuum überwacht wird, statt einer ganzen Bevölkerung. Man werfe nur einen näheren Blick auf die Erstellung der Truman Show: ein solch irrwitzig riesiger Aufwand, eine konstruierte eigene Welt, unzählige versteckte Kameras, Vollzeitschauspieler im täglichen Einsatz, und das alles nur, um das Leben eines Einzelnen komplett zu kontrollieren und jede Minute seiner inszenierten Existenz der Öffentlichkeit preiszugeben?! Kann man so etwas gutheißen? Natürlich – wenn die Einschaltquoten stimmen.

Doch ernsthaft: im Jahr 2009 ist es ein kleiner Schritt von der Fiktion in die Realität. Der einzige Unterschied ist, dass sich die Kandidaten einer heutigen Reality-Show im Fernsehen wissentlich überwachen lassen und den Schritt aus freien Zügen gewagt haben. Noch. Aber wer weiß, was uns demnächst bevorsteht. Die Wolken der Zukunft verdunkeln sich. Hinter jeder Ecke lauert die Manipulation im Schatten. Und vielleicht ist dieser Blog am Ende auch nur das Produkt einer fremden Macht. Kontrolliere ich noch meine Gedanken, oder kontrollieren sie mich? Und überwacht der Staat meine Blog-Inhalte? Ist die Realität nur ein Traum in einem Traum in einer Simulation? Und wie echt ist die Welt des Internets? Vor meinem Bildschirm schwebt die Überschrift „Web 2.0 – das Höhlengleichnis der Zukunft“. Alles löst sich auf. Die Precogs schweigen, VALIS verschließt die Augen, die Menschen tanzen wie Marionetten und die Regierungen reiben sich ihre verschwörerischen Hände. Und bevor der Autor in völliger Paranoia untergeht, schließt er diesen Blog-Eintrag mit einem Zitat von Terry Pratchett: „Just because you’re paranoid doesn’t mean they’re not after you“.



Quellen:


Behrens, R. & Ruch, A. B. (2003). „Philip K. Dick”, in: The Modern Word, Zugriff am 26.6.2009 unter http://www.themodernword.com/SCRIPTorium/dick.html

Pratchett-Zitat in: Wikipedia, die freie Enzyklopädie, Zugriff am 26.6.2009 unter http://de.wikipedia.org/wiki/Paranoia

Weir, P. (Regie). (2003). Die Truman Show [DVD-Video]. Paramount Home Entertainment. (Orig. The Truman Show. USA 1998).

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